Volker Havlik (1956–2024)

Irgendwo in den südlichsten Randgebieten Hamburgs befand sich Volkers Post-Krautrock- / Post-Punk- / Post-Industrial-Sound-Laboratorium.

Seine Gitarre zeigte sich niemals nackt; sie war stets in eine Wolke aus Kabeln und Drähten, kleinen schachtelförmigen Geräten und Spielzeugen, kantigen und dornigen Dingen gehüllt. Volker hatte bei weitem mehr Ideen als jemals in einem 24-stündigen Tag umsetzbar gewesen wären, und das machte es nicht immer einfach, sich mit anderen Menschen zu verknüpfen … zumal sein Tempo in der praktischen Umsetzung und im Organisatorischen exzessiv entspannt war.

In den späten 1990ern fand er zwei perfekt geeignete Orte für Austausch und Socializing, in der Parallelgesellschaft der relaxten Klang-Hyperaktiven. Zum einen war das die legendäre Hörbar in St. Pauli, zum anderen das kleine feine Matrix in Eimsbüttel. Letzteres (nein, die Namensgebung war NICHT von einem gewissen 1999 veröffentlichten Kinofilm inspiriert) war ein zutiefst sympathisches, gemütlich-rümpeliges Kaninchenloch im Raum-Zeit-Kontinuum und hat leider nicht sehr lang existiert… es fanden dort jedoch, in intimer Atmosphäre, einige der eindrucksvollsten Mikro-Happenings statt, die in einer Welt ohne Touchscreens denkbar waren.
Berlin, du magst immer noch cool sein und in einem gewissen Maße inspirierend, aber du hattest niemals ein Matrix wie dieses. Dies war der Ort, an dem Volker zwei junge Inspirationssuchende von jenseits der nördlichsten Randgebiete traf, zwei Obskuritäts-Aspiranten aus den Marschland-Feuchtgebieten, mit Rucksäcken voller Kabel, Drähte und kantiger dorniger Dinge. Einer von ihnen hatte einen 75 kg schweren Ensoniq-Sampler im Kofferraum seines Kleinwagens, der andere einen Bassklarinettenkoffer und einen Ghettoblaster in seinem Fahrradkorb sowie den neuesten Heißen Scheiß aus der Digital-Audio-Welt: einen tragbaren Minidisc-Recorder. Die drei hatten einen gemeinsamen Orangensaft und trafen die Verabredung, sich zusammen für eineinhalb Jahre im Post-Everything-Laboratorium einzusperren. Sie hatten keinerlei Erwartung, dass das Internet das nächste große Ding werden würde, das ‚neue‘ musikalische Genres und Subgenres und Hybrid-Sub-Subgenres ausrufen und etikettieren würde – aus dem Fundus der seit langem existierenden amorphen Experimente die stets vor dem Tageslicht zurückscheuen… und vor allem vor Eitelkeit und zwanghafter Selbstdarstellung. Das Musikprojekt Fluxtrat kam wahrscheinlich zu früh für diese Welt, vielleicht nur um einige Monate. Offensichtlich kam es zu spät, um auf der Fluxus-Welle mitzuschwimmen. Es fand in der ewigen überzeitlichen Zwischenzone statt. Volker hat sich nie von dem Namen Fluxtrat verabschiedet während der Jahre, in denen er weiteren Ideen nachging, Ideen die 24 Leben hätten ausfüllen können. Er hatte genau eins, und in jenem Leben gab es eindrucksvolle Mikro-Happenings die die Aufmerksamkeit der Anwesenden für einige Momente fesselte. Ohne dass irgendwelche Touchscreens im Spiel waren.
Was bliebe da noch zu wünschen übrig.

Nicolas Wiese

Das Fluxtrat Audio-Archiv in wav-Qualität


2012 ist Volker im Rissener Projekt Bauwagenmusik aufgetreten.
Einmal mit seinem Soloprojekt Renoised
und zusammen mit dem anderen langhaarigen Hörbar-Mitglied Marco "Pollo" Stabenow in dem Projekt Rainer Deutschmann und seine Freunde.


Ende 2014 führte die taz ein Interview mit Volker über experimentelle Musik im Allgemeinen und das Hörbar-Ausklangfestival im Besonderen.


Der oben genannte Pollo hat eine Bandcamp-Seite erstellt, auf der ihr alles noch Verfügbare findet, das Volker als Solist und in seinen zahlreichen Kollaborationen geschaffen hat.